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Veranstaltung am 8.2.06 in Düsseldorf – Beiträge

erstellt von wildcat Köln zuletzt verändert: 27.01.2009 22:54

 

Veranstaltung zum Streik bei Gate Gourmet
am 8. Februar 2006 in Düsseldorf

 

Auf der Veranstaltung berichteten mehrere Streikende über die Arbeitsbedingungen bei Gate Gourmet und die Motive für den Streik, über den Streikbruch durch Leiharbeiter und die Schwierigkeiten, effektiven Druck aufzubauen, über Blockaden, die Rolle der Gewerkschaft und die fehlende Unterstützung aus anderen Filialen, über die Resignation, nach 125 Tagen Streik immer noch nichts erreicht zu haben, aber auch über die positiven Botschaften aus dieser Erfahrung, die sie KollegInnen in anderen Betrieben und Konflikten übermitteln: dass es darum geht, die Angst zu verlieren und selbst aktiv zu werden.

 Wir dokumentieren hier Auszüge aus den Beiträgen von Halil S. und Uwe M.


Halil: Ich heiße Halil S. Ich bin nicht immer Betriebsratsvorsitzender gewesen. Das heißt, dass ich nicht alles, was schief gelaufen ist, übernehmen kann. Ich bin erst drei Monate vor Streikbeginn Betriebsratsvorsitzender geworden, nachdem unsere ersten und zweiten Vorsitzenden demokratisch abgewählt worden sind.

Unser Streik hat schon lange in den Köpfen geschwebt, bevor er offiziell angefangen hat. Auslöser war, dass von der Gewerkschaft offiziell 4,5 Prozent mehr Lohn gefordert wurden. Aber inoffiziell hatten fast achtzig Prozent der Leute, oder noch mehr, schon innerlich gekündigt. Wenn man aber seit 14 oder 16 Jahren in diesem Betrieb beschäftigt ist, kann man nicht einfach die Brocken hinschmeißen.

Bis dahin hatten die Leute alles gegeben, was sie geben konnten. Da war das Ende erreicht. Es fehlte nur noch der Tropfen, damit das Fass überläuft. Als wir die Verhandlungen angefangen haben, haben wir festgestellt: bei der Flexibilität, körperlich und geistig, da ist nichts mehr bei uns rauszuholen. Deswegen haben dann so viele, 93 Prozent, für den Streik gestimmt.

 Wir haben eine Betriebsvereinbarung zur Flexibilität abgeschlossen, und die sieht so aus: zwischen fünf und zehn Stunden pro Tag, je nachdem, welche Saison ist.  Wöchentliche Arbeitszeiten zwischen 25 und 48 Stunden! Und das ging noch weit über die 48 Stunden hinaus. Die Leute haben sich nicht mehr getraut zu sagen »Ich mach das nicht«. Denn dann wurde vom Arbeitgeber und von Betriebsräten gleich gedroht: »Wenn du keine Lust hast, dann geh doch, dann kannst du woanders arbeiten«. Diese Betriebsvereinbarung ist eigentlich eine Schande. Sowas dürfte nie wieder irgendwo auftauchen. Das ist so gekommen, weil in der Einigungsstelle ein Beisitzer vom Betriebsrat umgekippt ist zur Arbeitgeberseite. So ist das entstanden. Diese Betriebsvereinbarung ist 1:1 der Entwurf vom Arbeitgeber. Weder die Gewerkschaft, noch ich – ich war auch dabei – konnten das vermeiden.
 

Druck – Flexibilität – Verzicht

 

Uwe: Wir sind am 7. Oktober rausgegangen in den Streik, für 4,5 Prozent Lohnforderung. Vorab muss man sagen, dass wir einen Sanierungstarifvertrag gefahren haben, der dem Unternehmen schon ein Einsparungsvolumen von 190 000 € gebracht hat. Dieser Sanierungsvertrag ist im Juni ausgelaufen. Wir haben also schon einen großen Beitrag dazu geleistet, dass das Unternehmen auf vernünftigen Füßen steht, so dass die Struktur sich auch verändert hat. Es war ja nicht nur der Sanierungstarifvertrag, wo wir verzichtet haben. Nein, wir haben auch eine Produktivitätssteigerung von 30 Prozent in Kauf nehmen müssen. Diese Arbeiten, die wir vorher mit zwei Personen geleistet haben, die macht heute eine Person. Zu dieser 30-prozentigen Produktivitätserhöhung kam dann noch diese enorme Flexibilität, wie sie auch von meinen Kollegen hier angesprochen worden ist. Die enorme Flexibilität spiegelt sich in einem Dienstplan wieder, der unkalkulierbar für die Familien ist. Fünf Tage im voraus, und jede Schicht, die mit einem Sternchen versehen war, deren Ende war nicht deklariert. Das hätte nach fünf Stunden enden können, das hätte nach zehn Stunden enden können. Das wurde je nach Situation kurz vorher bekannt gegeben. Von daher war die Familienplanung auch so, dass es wirklich überhaupt nichts mehr zu planen gab, dass die Frau zuhause bleiben musste und auf das Kind aufpassen musste, weil ich meine Arbeitszeit nicht mehr einplanen konnte. Also haben wir nicht nur daran verloren, dass wir unheimlich viel Energie in die Arbeit gesteckt haben – Gewichte von zehn Tonnen und Wege von zwanzig Kilometern an einem Tag. Es kam auch noch dazu, dass wir Extremschichten haben von 3:45 Uhr bis 14 Uhr. Das hieß nichts anderes, als dass ich 14:30 Uhr nachhause gekommen bin, mich mit meinem Kind hingesetzt und noch schnell Hausaufgaben gemacht habe, dann schnell noch was gegessen, geduscht, und wieder ins Bett, damit ich auch wieder um zwei Uhr aufstehen kann und zur Schicht erscheinen – um mal eine Darstellung zu geben, wie der Alltag bei der Gate Gourmet abläuft.

An dem 7. Oktober waren uns die 4,5 Prozent, die wir fordern, noch zu wenig. Bei diesen hohen Lohneinbußen, die wir gemacht haben, war das doch ein Tropfen auf den heißen Stein. Jetzt kam noch dazu, dass der Manteltarifvertrag am 31.12. ausgelaufen ist. Ein Manteltarifvertrag, der eigentlich keiner ist – das hat eine lange Vorgeschichte. Dieser Manteltarifvertrag wurde von der Geschäftsleitung niemals unterschrieben. Es hat nur ein Eckpunktepapier existiert, nach dem grob gearbeitet worden ist. Jetzt ist die Situation so, dass wir keinen Manteltarifvertrag haben, und auch keine Nachwirkung eines Manteltarifvertrages. Die Gewerkschaft argumentiert so: Wir müssen erstmal sehen, dass wir uns einen Manteltarifvertrag »erkaufen«. Jetzt fragt es sich natürlich: Wie erkaufe ich mir einen Manteltarifvertrag, wenn ich schon von der Gate Gourmet mit einem Einsparvolumen von 500 000 belastet werde, wie viel muss ich denn dann noch für meinen Manteltarifvertrag geben? Ein Einsparvolumen von 500 000 €, das bedeutet nichts anderes, als dass die Arbeitszeit auf 40 Stunden erhöht wird, dass das Weihnachtsgeld komplett gekappt wird, dass es drei Tage Urlaub weniger sind, dass die Zuschläge runtergefahren werden, Feiertags-, Sonntags- und Nachtzuschläge, und dass mein Arbeitszeitkonto, das es ja durch diese tolle Betriebsvereinbarung gibt, die schon angesprochen worden ist, zum Jahresbeginn mit 32 Minusstunden belastet wird.

Wie kann das passieren, dass dieser Streik ins Leere läuft?

 Uwe: Das ist ein riesengroßer Batzen, den die Kollegen schlucken müssten. Wir als Tarifkommission, wir stellen uns hin und sagen: Diesen großen Kloß können wir nicht schlucken. Es ist aussichtslos, diese ganzen Punkte abzuarbeiten. Die Gate Gourmet ist in der Situation, dass sie das Geschäft relativ gut aufrechterhalten kann, durch Fremdfirmen, Leiharbeiter und Leute von anderen Stationen. Sie kann im Moment, da wir in einer Low Season sind, in der Nebensaison, das Geschäft relativ gut bewältigen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wie kann es denn passieren, dass ein Streik von 80 von insgesamt 120 Kollegen – die 80 Kollegen stehen draußen – wie kann das passieren, dass dieser Streik ins Leere läuft? Da appelliere ich auch jedes Mal, egal wo, ob das bei der IG Metall oder sonst wo ist, dass die Gewerkschaften sich da wirklich mehr Gedanken machen müssen, sich mehr mit dem Unternehmen beschäftigen müssen: Was passiert in dem Unternehmen, welche Posten in dem Unternehmen streiken, welche Posten übernehmen die Streikenden, was erreiche ich dadurch? Wenn ich viele Posten habe wie unsere Mädels in der Produktion, die da zehn Stunden am Band stehen: die sind natürlich unheimlich leicht zu ersetzen durch Leiharbeiter mit einem Mindestlohn.

 Halil: Das mit den Leiharbeitern ist ein Drama. Ich hab nicht gedacht, dass uns so was passieren würde. Das sind arme Leute, die sind unter Menschenhändlern. Was wir da mitkriegen, als Betriebsrat, hintenrum, das tut weh. Dass es in diesem Land diese Sklavenarbeit gibt, das habe ich nie gedacht. Es gibt inzwischen vier verschiedene Leiharbeitsfirmen bei uns. Die sind wie Pilze aus dem Boden gewachsen. Die Leiharbeitsfirma, die immer bei uns beschäftigt war, die hat normalerweise in der jetzigen Zeit höchstens mal 15 bis 20 Leute gehabt. Ab dem Anfang vom Streik hat der mehr als 50 Leute eingestellt, und mittlerweile hat allein diese Firma mehr als 75 Leute. Und dazu kommen die anderen drei Leiharbeitsfirmen. Und ich kann als Betriebsrat überhaupt nichts verhindern.

Uwe: Es gab Aktionen gegen Goldberg & Avci. Der Avci ist auf der politischen Ebene in Duisburg hoch angesiedelt. Der sitzt im Ausländerbeirat der Stadt Duisburg, der arbeitet natürlich mit der Agentur für Arbeit zusammen, und der weiß natürlich auch, dass Leute aus der Türkei oder aus anderen Ländern hier nach Deutschland kommen, für die fünf Euro viel Geld sind. Die schnappt der sich gleich, durch das Arbeitsamt, durch die Ausländerbehörde, und setzt die bei uns, bei Gate Gourmet ein. Es ist unheimlich wichtig, dass da noch wesentlich mehr demonstriert wird, vor dieser Leiharbeitsfirma von Goldberg & Avci.

 Die Gewerkschaften müssen sich wirklich vor jedem Streik besser informieren, wie das Unternehmen strukturiert ist, um solche Pannen nicht die Arbeiter ausbügeln zu lassen. Nach wie vor besteht die große Angst: Wie lange hält die Gewerkschaft die Stange? Wie lange kriegen wir die Unterstützung? Welche strategischen Maßnahmen werden eingeleitet? Wir als normale Arbeiter, die sich mit gewerkschaftlicher Politik nicht auskennen, wenden uns an die Profis, an unsere hauptamtlichen Gewerkschafter, und fragen: Wie läuft so was ab? Wie muss ich das machen? Und wenn ich dann nur Kopfschütteln kriege, oder wenn ich Angebote kriege, die unter die Gürtellinie gehen, dann muss ich dazu sagen: Da müssen die Gewerkschaften sich wirklich Gedanken machen.

Wir sind alle so in den Streik gegangen: der wird bestimmt nicht lange dauern, wir haben die Herbstferien vor uns, wir werden unheimlich viele Flüge haben, und wir werden genügend Druck aufbauen können, um den Arbeitgeber in die Knie zu zwingen. Das war leider nicht der Fall. Das kam auch daher, dass die LTU der Gate Gourmet – die LTU ist unser Hauptkunde, zu 80 Prozent – soviel Vorteile gegeben hat, die wir im normalen Alltag bei der GG nie hatten. Das war: Beladungen vorzuziehen, oder Reduzierung von Beladung, undsoweiter undsofort. Durch diese Vorteile konnten die den Flugbetrieb aufrechterhalten und Gate Gourmet ihr Geschäft aufrechterhalten. Nach 14 Tagen war dieser Streik immer noch nicht beendet. Jetzt ging das Desaster los. Nach den Herbstferien fing die schwache Saison an, bis Weihnachten, wo noch mal ganz kurz eine höhere Abflugzahl ist. Wir haben auf Weihnachten gehofft. In dieser ganzen langen Zeit hat der Arbeitgeber sich natürlich auch neu orientiert, oder auch umstrukturiert, eben mit diesen Fremdfirmen zu arbeiten.

 
… dass einen die Gewerkschaft in den rechtlichen Bahnen hält.

 Uwe: Wenn du am 125. Tag stehst ist das unheimlich deprimierend. Was haben wir denn überhaupt noch für einen Druck? Da muss man mal sagen: Vielen Dank an die Unterstützergruppen, die uns da relativ gut unterstützt haben, ob das zu Weihnachten war oder bei anderen Sachen. Das sind Aktionen, die uns unheimlich geholfen haben, die haben der Firma wirtschaftlichen Schaden zugefügt, was wir die ganze Zeit nicht geschafft haben.

 Die Gewerkschaft hat nur am 18. November blockiert, da war der 144. Geburtstag der NGG, da haben die vielleicht gedacht: das lassen wir uns was kosten. Da hat die NGG auch zur Blockade aufgerufen. Da gibt es auch schöne Bilder davon. Es war natürlich auch sehr sehr wirksam gewesen, und es war unsere Blockade. Wir haben aber ein Problem. Dadurch, dass wir am Airport arbeiten, sind wir alle vom Luftfahrtbundesamt sicherheitsüberprüft, und da können wir uns nur einmalig so eine Aktion leisten. Wenn wir mehrere solcher Sachen machen würden, würden wir die Sicherheitsüberprüfung verlieren und dann gar keinen Job mehr haben. Das ist das große Problem. Wie gesagt, durch die Verspätungen, die entstanden sind, durch die Blockaden, die bisher gemacht wurden, ist der Firma ein erheblicher Schaden entstanden. Bei jeder Tarifverhandlung wurde erstmal eruiert: Was ist da passiert, was habt ihr wieder gemacht, uns ist soundsoviel Schaden entstanden. Es gibt da auch einzelne Schreiben von dem Rechtsanwalt Münz, der ist von der GG beauftragt, dass da in Richtung NGG eine Schadensersatzklage kommen könnte. Da ist natürlich die NGG gleich wieder zwei Stühle nach hinten gerückt und hat gesagt: Jungs, haltet den Ball flach.

Wir können uns nicht über den Willen der Gewerkschaft drüberwegsetzen. Es gab da wirklich mehrere Sachen, die man so angedacht hat. Bloß man muss natürlich davon ausgehen, dass einen die Gewerkschaft in den rechtlichen Bahnen hält, und dass die auch die Ahnung davon hat. Weil wir haben keine Ahnung von so was. Wir wissen, wie unsere Arbeit funktioniert, aber unsere Profis, die Gewerkschaft, muss uns sagen, wie so was abläuft, und was wir tun können. Wir sind teilweise wie gelähmt, wenn die Unterstützergruppen kommen, und wir stehen da und können nichts tun. Das ist vielen Kollegen mehr wie peinlich, so dazustehen: wir können nichts tun. Das ist wiederum die Resignation, die wir nach dem 125. Tag haben. Zu sagen: Mann, was bringt denn diese ganze Geschichte noch, was erreiche ich damit. Der einzigste Grund – das möchte ich einfach mal so, auch von der Tarifkommission her behaupten – dass die Standhaftigkeit so groß ist: weil uns in diesem Unternehmen, wenn wir diesen Streik abbrechen sollten, noch wesentlich mehr Schweinereien entgegenkommen, wie das im Moment der Fall ist.
 

Keine Unterstützung aus anderen Filialen

 

Halil: Dass der Betriebsleiter und der »Kollege« May <bisheriger Deutschland-Chef> seinen Hut nehmen musste, das hat sicherlich Gründe in der erfolglosen Tarifverhandlung. Der May hat ja Super-Erfolge hinter sich. Der hat gedacht, die gleichen Erfolge kommen weiter. Gate Gourmet West gibt es auch in Frankfurt Kelsterbach. Dort hat er geschafft, sogar zusammen mit den Betriebsräten, die Gewerkschaft aus dem Haus rauszujagen. Anschließend ist er hingegangen, mit den Betriebsräten, und hat Abredeverträge gemacht, nachdem der Tarifvertrag komplett abgeschafft worden ist. Was er von uns fordert, hat er da Anfang 2004 schon in der Tasche gehabt. Das war ja für ihn ganz einfach, da hat er gedacht: Was in Frankfurt funktioniert, in Kelsterbach, warum funktioniert das in Düsseldorf nicht? Der hat angefangen, innerhalb vom Betrieb so eine Unruhe herzustellen, Frauen gegen Männer, ausländische Kollegen gegen deutsche Kollegen – hat alle aufgehetzt und versucht, was alles trennbar ist. So weit hat er das getrieben. Bevor wir rausgegangen sind, vor dem Streik, hing in jeder Ecke irgendein ominöser Offener Brief, gegen den Betriebsrat, gegen die Gewerkschaft. Dieses »Teilen und Herrschen« funktioniert in diesem System wunderbar. Dass das dann voll in die Hose gegangen ist, das konnte der nicht verstehen. Er war ja bis dahin immer erfolgreich.

Bevor ich gestreikt habe, dachte ich, Solidarität kriegen ist nicht so schwer. Aber ich habe festgestellt, dass Solidarität nicht das ist, was ich immer darunter verstanden habe. Ihr, die Unterstützergruppen, ihr seid die einzigen, die aktiv Solidarität gezeigt haben. Als wir rausgegangen sind, war das mein erster Job: ich bin bei allen Betriebsräten rumgelatscht , 280 Firmen gibt es auf dem Flughafengelände. Und wann kam der LTU-Betriebsrat zum ersten mal raus? Nach anderthalb Monaten! Es gibt 21 Flughafenbetriebsräte, ich wusste gar nicht, dass da so viele Betriebsräte sind. Ein einziger hat sich getraut. Ich hab mich auch gewundert: eine ansteckende Krankheit, dieser Streik? Ich habe das Gefühl, keiner wollte mit uns zu tun haben. Und dann habe ich jeden Tag mit dem Gesamtbetriebsrat in Deutschland telefoniert. Habe versucht, die Situation darzustellen. Keiner hat Interesse gezeigt. Die wollten nichts damit zu tun haben. Um Gottes Willen, das ist ja eine ganz gefährliche Sache, heutzutage, bei der Arbeitslosigkeit… immer wieder das Gleiche. Keiner hat sich getraut, nach so viel Zeit. Kein einziger in Deutschland. Zu sagen: Komm, wir versuchen´s zumindest mal, was kann man machen? Allein das Personalaufstocken, aus ganz Deutschland haben sie die Leute bei uns reingestopft. Da hab ich gebettelt, jeden zweiten Tag: Wie könnt ihr noch Leute hinschicken? Ich akzeptiere das, ok, ihr habt die Hose voll. Aber dann schickt wenigstens die Leute nicht! Als Betriebsräte habt ihr doch Möglichkeiten! Nichtmal das hat funktioniert.

Letzte Woche waren wir in Frankfurt-Zeppelinheim. Ich habe seit drei Jahren mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Zeppelinheim einen guten Kontakt. Der hat selbst gesagt, wir sollen da hinkommen und dort demonstrieren. Das war ja auf eine Art seine Idee. Aber der hat gedacht, dass ver.di mitmacht. Es gibt ja Betriebsräte, die sind völlig abhängig von der Gewerkschaft. Ohne die Gewerkschaft wissen die Betriebsräte nicht mehr, was sie machen müssen. Ausgerechnet bei so einer Firma wie Gate Gourmet, fühlen die sich völlig verloren. Vor ein paar Tagen hat der mich angerufen und gesagt: ver.di will nichts zu tun haben mit dieser Geschichte, mit dieser Demonstration, deswegen bitte nicht kommen! Der hat mich mitten in der Nacht zwei-, dreimal angerufen. Der war am Ende, der arme Kerl. Das war mir ja bewusst, durch einen anderen Kollegen im Betrieb, zu dem ich mittlerweile Kontakt habe. Da ist mir gesagt worden, es ist gut, wenn wir hinkommen, die Leute sind äußerst neugierig, von uns offiziell was hören zu können. Und das hat ja auch funktioniert mit unserer Demonstration. Der rief mich an, am gleichen Abend, als wir aus Frankfurt zurückkamen, und da sagt er: Es gibt da eine Unruhe im Betrieb. Es wird Diskussionen geben, die es noch nie gegeben hat. Es werden Leute kommen und ihm sagen: Wann machen wir denn den Streik?

 
Die Angst verlieren…

 
Halil:
Wir Streikenden sind rund um die Uhr am Zelt. Unsere Gewerkschaft hat mittlerweile Personalprobleme. Aus diesem Grund wollten sie nur eine Schicht machen, damit das die amtlichen Kollegen nicht so belastet. Wir haben den Spieß umgedreht. Wir wollen rund um die Uhr dort sein, genau wie wir rund um die Uhr gearbeitet haben, damit uns nicht noch mal die Panne passiert wie am 2. Januar, dass sie unser Zelt wegschieben und unser Auto abschleppen lassen. Seitdem haben wir rund um die Uhr Streikposten. Der offiziell, von der Gewerkschaft unterstützte Posten ist von 10 bis 18 Uhr, mit einem Hauptamtlichen. Gleichzeitig gibt es Gruppen hier bei uns, die machen Missionarsarbeit. Wir reisen überall in Deutschland rum. Ein Kollege sagte gerade: Was können wir machen außer Geld sammeln. Natürlich wird auch Geld gesammelt, das ist klar, denn die 80 Kollegen, die so viele Tage draußen stehen, haben teilweise mehr als 730 Euro weniger und müssen mit einer vierköpfigen Familie leben. Dieser Streik muss weitergehen, das ist vollkommen klar. Und Geld spielt hier eine riesengroße Rolle, da brauche ich gar nichts verstecken. Aber zweitens müssen wir überall wo wir hingehen, den Kollegen die Geschichte erklären, über Vertrauensleute, Gewerkschaftskollegen, überall. Diese Veranstaltungen sind äußerst erfolgreich. Jeder fragt was, jeder erzählt Probleme, und immer wieder taucht die Frage auf, wie wir am besten die Angst verlieren können. Wir erzählen das so: Angst hilft uns nicht mehr, das ist schon lange vorbei. Wie lange muss ich Angst haben um meinen Arbeitsplatz? Das hilft mir überhaupt nicht mehr. Wenn ich gesundheitlich pleite bin und familiär, wenn ich sozial ausgegrenzt bin… was nützt mir da mein Arbeitsplatz? Wir leben ja seit so vielen Jahren in diesem asozialen Zustand. Wir haben kein Vereinsleben mehr, wir haben kein vernünftiges Familienleben mehr, wir haben überhaupt keine Bekannten mehr. Durch diese verschiedenen Schichten erleben wir dieses soziale Abseits. Das ist das Problem, warum die Leute gesagt haben: Noch mehr ist nicht mehr drin. Wir haben sämtliche Grenzen schon lange überschritten. Aus diesem Grund sind wir rausgegangen. Aus diesem Grund erklären wir das überall unseren Kollegen, von Kassel bis Hannover, bis Frankfurt, wir reisen überall hin. Ich bin jedem Kollegen dankbar, der mich anruft und sagt: Halil, ich hab mal wieder ne Veranstaltung, kannst du mal kommen. Dann sammeln wir kurzfristig drei, vier Kollegen, und dann fahren wir hin. Das ist äußerst wichtig. Wichtig ist, dass jeder Kollege, der uns zuhört und das versteht, das auch weitererzählt. Und das Wichtigste ist, überall dort zu sein, wo Streiks stattfinden. Als nächstes ver.di, die IGM ist ja schon dabei. Wir versuchen Kontakt zu knüpfen, damit wir von unseren Erfahrungen erzählen können. Um die Angst wegzunehmen. Wir versuchen zu erklären: Angst haben bringt überhaupt nichts! Wir kämpfen schon lange nicht mehr für uns. Auch in der Politik wird das mittlerweile besprochen. Wir haben heute eine Tagung der NGG gehabt, die hieß »Quo vadis«, das sagt schon einiges. Die Gewerkschaft ist wirklich hilflos, genau wie die Politik. Wichtig ist, dass jeder einzelne umdenkt. Jeder muss seine eigenen Grenzen definieren. Wir können uns nicht auf die Gewerkschaft oder auf die Politik verlassen.

Letztens hat mal eine Kollegin gefragt, bei einer Veranstaltung der NGG: Ich kann euch nicht verstehen, wie lange wollt ihr denn noch? Ich habe gesagt: Bis ich meinem Sohn erklärt habe, dass er demnächst 60 Stunden arbeiten muss, wenn er mich nicht unterstützt. Denn das geht in diese Richtung. Ich weiß ganz genau, wie ich angefangen habe, wie ich heute arbeite, auf was ich alles verzichtet habe. Und das hört ja nicht auf. Die Spirale dreht sich immer weiter, immer schneller. Irgendwie muss das wenigstens verlangsamt werden. Und damit müssen wir jetzt anfangen.

 

 

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